Wohlstandsvernachlässigung: arme reiche Kinder!

von | 22. Oktober 2021

Wohlstandsvernachlässigten Kindern geht es zwar materiell gut, aber dafür weisen sie oft seelische Defizite auf. Ihre emotionalen Bedürfnisse sind unerfüllt.

WohlstandsarmutKinder reicher Eltern haben auf den ersten Blick alles, was sie glücklich machen könnte: Viele tolle Spielsachen, die modernste Kleidung und Luxusurlaube. Sie wohnen in chicen Häusern in gehobenen Gegenden, werden mit teuren Autos zu ebenso teuren Privatschulen und Freizeitvergnügen gefahren, besitzen das neueste Smartphone und dennoch sind viele dieser Kinder unglücklich, denn ihnen fehlt etwas Entscheidendes: ihre grundlegenden seelischen Bedürfnisse werden nicht erfüllt.

Die emotionalen Bedürfnisse von Kindern

Das Wichtigste ist eine sichere Bindung an zuverlässige Bezugspersonen, in der Regel sind das die Eltern. Kinder benötigen für ihre Entwicklung eine altersentsprechende Autonomie, freie Identitätsbildung und die Möglichkeit, ein gesundes Selbstwertgefühl herauszubilden. Zudem brauchen sie realistische und nachvollziehbare Grenzen. Kinder haben ein natürliches Verlangen nach Spontaneität und Spiel. Sie wollen sich kreativ ausdrücken und ihre Bedürfnisse und Emotionen äußern. Wenn eine sichere Bindung an die Eltern besteht, gehen diese feinfühlig auf die emotionalen Bedürfnisse ein und stärken so die natürliche, gesunde Entwicklung des Kindes. Feinfühligkeit bedeutet die Signale des Kindes wahrzunehmen, sie richtig zu interpretieren sowie angemessen und prompt darauf zu reagieren. Feinfühligkeit basiert auf körperlicher und geistiger Anwesenheit, Zeit und dem bewussten Einlassen aufs Kind. Werden diese Bedürfnisse eines Kindes nicht befriedigt, fühlt es sich vernachlässigt.

Definition Wohlstandsverwahrlosung

Wohlstandsverwahrlosung bzw. Wohlstandsvernachlässigung beschreibt die Situation seelisch vernachlässigter Kinder und Jugendlicher. Damit ist ein Überfluss an materieller Zuwendung bei gleichzeitigem Defizit an emotionaler Zuwendung gemeint. Diese Kinder werden mit Zeit, Liebe und Fürsorge unterversorgt. Ferner leiden wohlstandsvernachlässigte Kinder unter fehlenden Strukturen, Ritualen und der häufigen Abwesenheit der Eltern. Dieses Defizit und oftmals auch ihr schlechtes Gewissen kompensieren die Eltern, indem sie ihren Kindern viel Freiraum für materielle und mediale Dinge lassen, sie häufig in Fremdbetreuung geben und ihnen die bestmögliche Förderung angedeihen lassen. Dies führt nicht selten zu Überforderung. Das Umfeld der Kinder ist voller Fülle, aber innerlich fühlen sie sich leer.

Ursachen der Wohlstandsvernachlässigung

Der Hauptgrund der Wohlstandsvernachlässigung ist eine verminderte emotionale Tiefe. Die primären Bezugspersonen sind häufig abwesend und wenden sich die meiste Zeit Tätigkeiten zu, die ihnen wichtiger sind. In der Regel ist die intensive Berufsausübung (Geldbeschaffung) ursächlich. Rollen- oder Beziehungsprobleme sowie psychische Störungen können ebenfalls dazu führen, dass sich Eltern ihren Kindern emotional nicht ausreichend zuwenden. Ein weiterer Grund ist die materielle Verwöhnung als Abwehrmechanismus, wenn ein Kind so, wie es ist, nicht aufrichtig geliebt werden kann. Dann wird nach außen hin umso mehr demonstriert, wie gut das Kind (materiell) versorgt und gefördert wird. Das geschieht zum einen, um sich selbst in der Elternrolle aufzuwerten, ein tolles Bild von einer idealtypischen Familie nach außen zu illustrieren bzw. um die Schuldgefühle der Eltern zu kompensieren. Oft kennen es die Eltern nicht anders, denn sie wurden selbst wohlstandsvernachlässigt und denken, es hätte ihnen nicht geschadet – schließlich wurde ja etwas Ordentliches aus ihnen! Sie kennen die Bedeutung von Gefühlen nicht ausreichend.

Doch auch getrenntlebende Eltern geraten oftmals in die Verwöhnfalle, wenn sie in einen materiellen Wettstreit geraten. Sie möchten sich beim Kind beliebt machen, indem sie den Ex-Partner materiell übertrumpfen oder so dem Kind zeigen, dass sie es mehr lieben. Und natürlich möchten sie das Kind auch für die Trennung „entschädigen“. Doch niemand kann sich von Schuldgefühlen freikaufen!

Die Symptome der Wohlstandsverwahrlosung

Typische Symptome bei Kindern sind eine geringe Frustrations- und Versuchstoleranz. Das Kind möchte alles sofort haben und sieht Materielles als Beweis der Elternliebe an. Schuld- oder Gewissensgefühle sind nicht stark genug ausgeprägt oder treten übermächtig auf. Das kann zu Aggressionen sich selbst und anderen gegenüber führen. Einige Kinder zeigen eine mangelnde Bereitschaft, Aufgaben für die Gemeinschaft wie Tafeldienst, Aufräumen oder Putzen zu übernehmen. Diese als minderwertig angesehenen Arbeiten erledigen in ihrer Welt andere Menschen. Diese Kinder haben Probleme, Gemeinschaftsregeln oder Routinen in ihrer sozialen Bedeutung zu erkennen. Durch die gestörte Realitätsanpassung grenzen sie sich oftmals selbst aus, indem sie sich als „etwas Besseres“ darstellen. Wohlstandsvernachlässigte Kinder können Schwierigkeiten in der Einfühlung in andere haben. Sie verstehen oftmals Gruppenprozesse nicht und nehmen die Gefühle anderer Kinder nicht wahr. Daraus können Integrationsschwierigkeiten resultieren. Wohlstandsverwahrloste Kinder können auch zu Perfektionismus neigen und hohe Ansprüche an ihre Leistungen haben.

Die Folgen der Wohlstandsvernachlässigung

Den Betroffenen kann ihr Leben im Jugendalter immer langweiliger erscheinen, schließlich besitzen sie alles und haben schon viel erlebt. Häufig suchen sie nach neuen „Kicks“ und finden diese durch aneckendes Verhalten, durch Schule schwänzen, Rauchen, Alkohol- oder Drogenkonsum, bei politisch extremen Gruppen, in Sekten oder bei Mutproben, die in Straftaten ausarten können. All das resultiert aus dem labilen Selbstwertgefühl und den Problemen, sich im Alltag zurechtzufinden und sich auf andere Menschen einzulassen. Wohlstandsvernachlässigte kennen keine innerliche Zufriedenheit, sondern sie werden ständig von innerer Unruhe angetrieben.

Alle, die von Wohlstandsvernachlässigung betroffen sind – Kinder sowie Eltern – sollten sich in vertrauensvolle Hände begeben und Beratungsgespräche in Familienzentren oder Familientherapien wahrnehmen. Damit kann das reiche, aber leere Leben zu einem liebevollen und emotional stärkenden Familienleben werden.

Foto: Canva.com

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