Partnerschaft: Die Angst, verlassen zu werden
von Dr. phil. Sonja Deml | 22. August 2022
Der Angst vor dem Verlassenwerden liegen psychische Probleme zugrunde. Diese Angst belastet die Paarbeziehung und sie ist dadurch auch gefährdet.
Wir alle wollen lieben und geliebt werden und auch die glücklichsten Paare fürchten manchmal, dass es eines Tages vorbei sein könnte und der Partner geht. Das ist normal, denn schließlich möchten wir unseren Partner nicht verlieren. Diese Gedanken gehen wieder vorbei, doch manche Menschen sind diesbezüglich sehr angstbesessen. Sie spüren die Angst, verlassen zu werden, nahezu ständig und die gesamte Partnerschaft steht dadurch unter einem großen Druck.
Die Bedeutung von Ängsten
Zunächst sind Ängste wichtig, denn ohne Angst vor dem Feuer würden wir uns verbrennen. Angst schützt, macht uns aktiv und handlungsfähig. Immer wieder im Leben haben wir Angst vor Naturgewalten (z. B. Beispiel Gewitter), Katastrophen oder dem Tod. Auch neue Lebensabschnitte wie Heirat, Geburt eines Kindes, Jobwechsel oder der Ruhestand machen uns manchmal Angst. Das ist völlig normal, denn so setzen wir uns mit möglichen Problemen auseinander und können in der Regel die Ängste nach einer Zeit des Nachdenkens ziehen lassen. Aber es gibt Ängste, die uns dauerhaft lähmen, weil sie unsere Weiterentwicklung hemmen, uns infantil und verletzlich bleiben lassen, da wir die Angstschranke nicht überwinden. Dazu zählt die Angst vor dem Verlassenwerden.
Der depressive Mensch
Dem Psychologen Fritz Riemann nach ist vor allem der depressive Mensch von der Angst vor dem Verlassenwerden betroffen. Sein Lebensinhalt ist Liebenwollen und Geliebtwerdenwollen, denn nur so kann er seine besten Seiten entwickeln – gleichzeitig liegt darin auch seine größte Gefährdung, da Liebe immer Diskussionen, Konflikte oder Spannungen beinhaltet. Eine Partnerschaft ist schließlich ein lebendiges Konstrukt. Doch der depressive Mensch kann diese negativen Momente kaum aushalten, da sie seine Verlustangst aktivieren. Er will alles Unharmonische aus der Paarbeziehung raushalten, fühlt sich schnell verunsichert und abgelehnt. Um mehr Sicherheit und Angenommensein zu spüren, stellt der Betroffene ständig intensive Nähe her. Das bedrängt den Partner und sein Bedürfnis nach temporärer oder räumlicher Distanz. Dies deutet der ängstliche Partner als Anzeichen, nicht mehr geliebt zu werden. Um die Liebe wiederherzustellen, versuchen sie zwei Arten: Zum einen möchten sie in völliger Identifikation mit dem Partner leben. Das Eigenleben wird aufgegeben, dem Partner werden alle Wünsche von den Augen abgelesen, man übernimmt seine Ansichten und Gewohnheiten, so dass eine möglichst große Symbiose eingegangen wird. Manchmal kleidet sich in diese Überbesorgtheit auch eine zweite Art, nämlich die erpresserische Liebe. Der Partner soll durch Schuldgefühle an die Paarbeziehung gebunden werden, indem ihm klar wird, wie sehr sich der andere für ihn aufopfert. Funktioniert das nicht so wie erwünscht, kann es zu offener Depression, anderen Krankheiten und zu Selbstmordformulierungen kommen. Häufig durchschauen Partner dies nicht und kümmern sich tatsächlich verstärkt um den depressiven Partner. So zeigen sie ihm die „Liebe“ und lassen sich immer mehr einengen.
Angst, verlassen zu werden: Die Ursachen
Diese Angstform kann unterschiedliche Ursachen haben wie zum Beispiel die (frühkindliche) Erfahrung, tatsächlich verlassen worden zu sein, eine mangelnde Bindungsfähigkeit an wichtige Bezugspersonen, das Aufwachsen in einem angstbesetzten Milieu, ein überzogenes Liebesideal und unangebrachte Eifersucht, Scheidung der Eltern, Tod nahestehender Menschen oder andere traumatische Erlebnisse, die nicht aufgearbeitet wurden.
Angst vor dem Verlassenwerden therapieren
Die Angst, verlassen zu werden, hat tiefe psychologische Ursachen. Diese können jedoch therapeutisch aufgearbeitet werden. Psychotherapie deckt die individuelle Geschichte der Angstentwicklung auf, erkundet ihre Zusammenhänge und ermöglicht die Auseinandersetzung mit der Angst in einem geschützten Rahmen. Das Ziel ist eine Angstverarbeitung durch Nachreifen der Persönlichkeit. Nur wer seine Ängste kennt und lernt, damit umzugehen, braucht keine Angst vor der Angst mehr zu haben!
Quelle: Riemann, Fritz (2022): Grundformen der Angst. Reinhardt Verlag
Foto: Canva.com
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