Symbiotische Beziehung: Wenn Partner verschmelzen
von Dr. phil. Sonja Deml | 2. September 2013
Wie funktoniert eine symbiotische Beziehung? Vor- und Nachteile in einer symbiotischen Partnerschaft.
Kennen Sie Paare, die alles zusammen machen und sogar die gleichen Jacken und Mützen anhaben? Einer im Rahmen meiner Single-Studie befragten Singles hat sich über solch symbiotischen Paare Gedanken gemacht: „ich hab manchmal das G’fühl, die hamm sogar a Zwillingsschüssel zuhause, also ned nur a Zwillings-waschbecken, sondern auch zwei Töpfe nebeneinander und die gehn auch im gleichen Rhythmus aufs Klo, hamm zwei Duschkabinen nebeneinander, dass sie ja nie voneinander lassen müssen und die bestreiten die ganze Freizeit parallel. Das ist Wahnsinn.“ Schauen wir uns das Phänomen „symbiotische Beziehung“ mal näher an.
Partnerschaft braucht Nähe und Distanz
Viele Partner sind so verliebt, dass sie am liebsten verschmelzen würden. Sie möchten eins sein und die Psychologie führt diese Sehnsucht auf frühkindliche Gefühlserfahrungen zurück: Das Baby im Mutterleib spürt tiefe Geborgenheit und es fühlt sich auch in der ersten Lebenszeit noch eins mit der Mutter. Doch ein Kind wird selbständig und sucht selbst die Distanz und immer wieder die Nähe. Das ist auch in einer Partnerschaft wichtig, denn ohne Distanz können Partner nicht neu aufeinander zugehen. Die körperliche und emotionale Nähe verbindet. Beim Sex werden sogar Bindungshormone freigesetzt. Doch zu viel Nähe kann sich auf die Erotik negativ auswirken. Zum einen hebt Verschmelzung die Verschiedenheit der Partner auf und so gibt es kein Gegenüber mehr, das man begehrenswert findet. Zum anderen kann das sexuelle Verlangen abflauen, wenn sich jemand von zu viel Nähe bedrängt fühlt. Ein Paar kann sich nur weiterentwickeln, wenn beide ihre Individualität behalten.
Symbiotische Partnerschaft: Gut oder schlecht?
In einer symbiotischen Partnerschaft geht es oftmals nicht alleine darum, alles gemeinsam zu machen, sondern die Beziehungs- und Haushaltsaufgaben werden nach den Vorlieben und Fähigkeiten des einzelnen verteilt. Das klingt gut! Einer sorgt für entspannende Momente, der andere bringt etwas mehr Leben in die Partnerschaft. Die klassische Hausfrauenehe kann ebenfalls als symbiotisch betrachtet werden: Die Frau ist für den häuslichen Bereich zuständig und der Mann bringt das Geld heim. Das kann jedoch dazu führen, dass sich das Paar als Ganzes erfährt, wobei jeder seine Eigenständigkeit eingebüßt hat. Wenn ein Paar so aufeinander eingespielt ist, dass ein Leben ohne den anderen undenkbar wäre, können massive Ängste entstehen. Verantwortungsbereiche aufzuteilen ist natürlich wichtig, aber dabei muss ein Ausgleich zwischen Symbiose und Eigenständigkeit gefunden werden. Gelingt das nicht und grenzen sich die Partner zu wenig voneinander ab, sind sie sehr stark emotional verstrickt, kann daraus übermäßige Fürsorge folgen und sogar der Wunsch, den anderen zu kontrollieren. Besonders traurig wird es, wenn einen Partner die Nähe so belastet, dass er sich die Distanz in Form einer Außenbeziehung holt. Der betrogene Partner versteht die Welt nicht mehr, denn seiner Meinung nach war doch alles perfekt…
Kinder in einer symbiotischen Beziehung
Manchmal kann ein Baby die symbiotische Partnerschaft seiner Eltern in gesündere Bahnen lenken. Ein Kind verbindet und trennt ein Paar zugleich indem es sich einfach zwischen die beiden drängt und eigene Ansprüche anmeldet. Doch bevor sich ein symbiotisches Paar (dem sein Problem bewusst ist) für ein Kind zu Therapiezwecken entschließt, sollte jeder der Partner sein Nähe-Distanz-Problem mithilfe eines Psychologen lösen. Denn es kann passieren, dass sich einer der Partner vom anderen nach der Geburt abwendet und eine symbiotische Beziehung zum Kind sucht, das diesem mittel- und langfristig schadet.
Quelle des Zitats: Deml, Sonja (2010): Singles: Einsame Herzen oder egoistische Hedonisten? Eine kritische und empirische Analyse. Centaurus Verlag, Freiburg
Foto: diez-artwork – Fotolia.com
Kommentar verfassen