Trennungskinder sollen bei Vater und Mutter wohnen
von Dr. phil. Sonja Deml | 22. Oktober 2015
Der Europarat setzt sich verstärkt für das Wechselmodell ein. Scheidungs- bzw. Trennungskinder wohnen dabei zu gleichen Teilen bei Mutter und Vater.
Bei einer Trennung oder Scheidung mit Kind sollte stets dessen Wohl im Vordergrund stehen. Damit beschäftigen sich Familiengerichte und nun setzt sich der Europarat verstärkt für das Wohl des Trennungskindes ein. Der Europarat fordert nämlich, dass Scheidungskinder bei beiden Eltern ein Zuhause haben sollen. Das Wechselmodell hat sich in vielen Ländern seit einiger Zeit schon etabliert. Unsere Bundesregierung prüft erst noch, ob dieses Modell tatsächlich dem Kindeswohl entspricht.
Wechselmodell fürs Kindeswohl
Die Hamburger Initiative „Gemeinsam erziehende Mütter und Väter“ setzt sich dafür ein, dass Kinder nach der Trennung ihrer Eltern zwei gleichwertige Elternhäuser haben und der klassische Besuchs- oder Wochenendpapa zum Auslaufmodell wird. Die Initiative geht davon aus, dass das Wechselmodell, das auch „paritätische Doppelresidenz“ genannt wird, dem Wohl des Kindes dient. Und auch dem Wohl der Eltern, wenn diese sich gleichwertig und gleichberechtigt um ihre gemeinsamen Kinder kümmern können. Väteraktivisten und Fachleute wie Prof. Hildegund Sünderhauf fordern schon längere Zeit, dass die derzeit in Deutschland geltende Norm des Residenzmodells überdacht werden soll. Die Kinder können leicht die Bindung zum getrennt wohnenden Elternteil verlieren, wenn sie diesen nur an jedem zweiten Besuchswochenende sehen oder ab und zu mal mit ihm telefonieren. Letzteres funktioniert auch nur bei größeren Kindern. Babys und Kleinkinder brauchen einfach den persönlichen Kontakt um eine Bindung aufrecht zu erhalten und das geht nicht via Handy oder Skype.
Das Wechselmodell bringt Vorteile für getrennte und geschiedene Eltern
Viele Väter möchten nicht länger nur der Besuchs- oder Zahlvater sein und viele Mütter möchten die Verantwortung für ihre Kinder und deren Erziehung nicht als klassische alleinerziehende Mutter haben, sondern sich diese wichtigen Aufgaben teilen. Das dringt nun auch zu höheren Instanzen vor: Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat eine Resolution zur „Gleichheit und gemeinsamen elterlichen Verantwortung“ verabschiedet. Damit soll die Diskriminierung von Vätern abgebaut werden und das Wechselmodell soll in den nationalen Gesetzen verankert werden. Die gemeinsame Sorge für gemeinsame Kinder soll auch dazu dienen, Geschlechterstereotypen bezüglich der Rolle von Frauen und Männern in der Familie zu überwinden. Außerdem soll eine Trennung von Eltern und ihren Kindern nur dann stattfinden, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen oder mit ernsten Risiken für das Kindeswohl zu rechnen ist wie das zum Beispiel bei Gewalt, Kindesmisshandlung oder Vernachlässigung der Fall ist. Der Europarat forderte seine Mitgliedsstaaten dazu auf, den Grundsatz der Doppelresidenz gesetzlich zu regeln und die Betreuungstage den Bedürfnissen und Interessen des Kindes anzupassen. Ein Stillbaby hat natürlich andere Bedürfnisse als ein Teenager. Und ein Kind, das seinen vielbeschäftigten Vater bisher auch nur äußerst selten bei Tageslicht gesehen hat, muss erst mal Zugang zu ihm finden. Ein Kind jedoch, das eine stabile Bindung zu Mama und Papa hat, an beide gewöhnt ist und mit beiden gerne seine Zeit verbringt, sollte diesem Stück Familienleben auch nicht beraubt werden. Schließlich haben sich die Eltern getrennt und nicht das Kind von einem Elternteil!
Die paritätische Doppelresidenz in Deutschland
Wohnen in anderen Ländern wie Belgien, Frankreich oder Schweden Trennungs- bzw. Scheidungskinder zu einem großen Teil gleichermaßen bei Mama und Papa, herrscht in Deutschland noch immer das Residenzmodell vor. Und das wird wohl auch noch einige Zeit so bleiben, denn die Bundesregierung plant nicht, die Resolution des Europarates in nächster Zeit umzusetzen. Ob das Wechselmodell dem Kindeswohl dient und dadurch einen gesetzlichen Regelfall darstellen kann, wird kontrovers diskutiert. Im Moment kann das Wechselmodell in Deutschland nicht so einfach gesetzlich „verordnet“ werden. Dennoch können getrennte Eltern dieses Modell praktizieren, sofern es für sie und für das Wohl des Kindes gut ist. Also liebe getrennte Eltern: Wartet nicht erst, bis es eine gesetzliche Regelung gibt, sondern kümmert euch selbst um eine vernünftige Umgangs- und Wohnsituation nach eurer Trennung. Informiert euch bei Familien, die das Wechselmodell bereits praktizieren und fragt vor allem eure Kinder, was für sie gut ist! Die wissen das nämlich oft sehr genau…
Weitere Informationen und internationale Forschungsergebnisse zum Thema findet ihr in diesem Buch:
Sünderhauf, Hildegund (2013): Wechselmodell. Psychologie – Recht – Praxis: Abwechselnde Kinderbetreuung durch Eltern nach Trennung und Scheidung
Foto: Photographee.eu – Fotolia.com
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