Wechselmodell: In anderen Ländern längst Gesetz

von | 8. Oktober 2014

Deutsche Trennungskinder leben meist im Residenzmodell bei ihrer Mutter. In anderen Ländern wird das Wechselmodell praktiziert und das aus gutem Grund...

ParitätsmodellDie meisten deutschen Trennungskinder leben nach dem Auseinanderbrechen ihrer Familie überwiegend bei einem Elternteil, meist bei der Mutter (Residenzmodell). In anderen Ländern wie Belgien, Frankreich, Norwegen, USA, Kanada oder Australien ist das Wechselmodell, auch Doppelresidenzmodell oder Paritätsmodell genannt, gesetzlich vorgeschrieben. Beim Wechselmodell werden die Kinder von beiden Elternteilen zu möglichst gleichen Teilen betreut. Bei der Ausgestaltung gibt es viele Möglichkeiten, die Eltern können sich z.B. wochenweise oder alle 14 Tage abwechseln oder einander bestimmte Wochentage zuteilen. In Belgien war der Dipl. Kinder- und Familienpsychologe Jan Piet H. de Man maßgeblich an der gesetzlichen Verankerung des Wechselmodells beteiligt. Wir haben ihn gefragt, ob die wechselseitige Betreuung nicht auch für deutsche Kinder besser wäre.

Der Großteil der in einer Umfrage von Match-Patch befragten alleinerziehenden Mütter möchte, dass der Lebensmittelpunkt ihrer Kinder bei ihnen bleibt. Ist das noch zeitgemäß?

Jan Piet H. de Man: Dass Single-Mütter bevorzugen, dass ihre Kinder ihren Lebensmittelpunkt in ihrem Haushalt haben, ist verständlich in der deutschen Sachlage, dass daran finanzielle Vorteile verbunden sind weil die deutsche Rechtsprechung – betrachten wir nur die Düsseldorfer Tabelle – immer noch davon ausgeht, dass die Mutter nicht auswärts arbeiten geht, was sehr oft nicht mehr die wirkliche Situation ist. Außerdem ist für viele Mütter das Mutter-Sein ihre Identität, nicht das Frau- oder selbständiger Mensch-Sein, sodass sie meinen, es würde ihrer Identität schaden, wenn sie sich nach ihrer Trennung nicht fast vollzeitig auf ihr Mutter-Sein beschränken würden – trotz der daraus hervorgehenden Überbelastung. Dazu kommt, dass zu viele alleinerziehende Mütter den Vater, dem sie die Trennung vorwerfen, aus ihrem Leben ausgrenzen möchten und nicht wissen, wie sehr das ihren Kindern schadet.

Welche Alternativen gibt es zum Residenzmodell?

Jan Piet H. de Man: Viele! Es ist viel zu wenig bekannt, dass 13, 12, 11, 7 Tage einen Elternteil nicht mehr sehen, für junge Kinder (und vielen Eltern!) unerträglich lange ist. Zu wenig wird an die Alternative gedacht, diese Periode zu beschränken, zum Beispiel auf einen Tag – indem das Kind zum Beispiel morgens von der Mutter zur Tagesmutter oder Schule gebracht und abends dort vom Vater abgeholt wird und am nächsten (Arbeits-)Tag umgekehrt. Diese Betreuungsregelung hat viele Vorteile, auch für ältere Kinder: sie brauchen zum Beispiel weniger Kleider und Schulsachen mitzunehmen und sehen ihre beiden Eltern – wie vorher – jeden (Schul-)Tag. Wenn der Weg vom Elternhaus hin und her zu lang ist, können die Eltern diesen Weg nur einfach machen, indem die Kinder in ihrem vertrauten Familiennest bleiben und die Eltern sie dort abwechselnd betreuen und versorgen gehen. Wir sprechen vom Nestmodell.

Welche Vorteile bringt das Wechselmodell den Beteiligten und in der täglichen Organisation?

Jan Piet H. de Man: Viele! Im Vergleich zu Kindern, die eine Einzelresidenz mit einem Lebensmittelpunkt erleben müssen, sind Kinder, die mehr oder weniger paritätisch von ihren beiden Eltern erzogen werden, im Durchschnitt körperlich und geistig gesünder, konsumieren weniger Drogen, werden seltener frühzeitig schwanger, werden weniger gemobbt, haben weniger gewalttätiges Verhalten oder andere Verhaltensauffälligkeiten, kommen seltener mit der Polizei in Berührung, haben weniger oft depressive Gefühle oder ein negatives Selbstbild. Sie benehmen und fühlen sich besser, haben eine bessere Beziehung zu ihrer Mutter und ihrem Vater, haben bessere schulische Leistungen usw. Kinder und Eltern sind mit der möglichst paritätischen Doppelresidenz mehr zufrieden als mit der Einzelresidenz. Beim Wechselmodell werden die Kinderalimente besser gezahlt, gibt es weniger finanzielle Probleme und die Eltern streiten sich weniger – zuhause und vor Gericht. Eine teilzeitige Organisation der Kinderbetreuung ist mit einer Erwerbstätigkeit und mit einer neuen Liebespartnerschaft besser zu kombinieren als einen Lebensmittelpunkt gut funktionieren zu lassen.

In vielen Ländern wurde das Wechselmodell gesetzlich verankert. Sehen Sie hierfür auch eine Chance in Deutschland bzw. wäre dies für Deutschland wünschenswert?

Jan Piet H. de Man: Ja, das wäre für die vielen Abertausenden von Trennungskindern und ihren Eltern, sowie für die Gerichte und die Gesellschaft im Allgemeinen sehr wünschenswert. Denn mehr und mehr getrennte Eltern bevorzugen die möglichst paritätische Doppelresidenz, sowohl in Deutschland wie in anderen Ländern. In Deutschland besteht besonders ein dringender Bedarf einer gesetzlichen Anpassung der Kinderalimente und anderer finanziellen Trennungs- und Scheidungsfolgen an die vielen unterschiedlichen Elternzeitverteilungen und Betreuungsregelungen, die mittlerweile praktiziert werden. Wie die Chancen dazu in Deutschland stehen, kann ich nicht beurteilen. Aber ich weiß, dass Gesetzesänderungen sehr viele Jahre brauchen und den gesellschaftlichen Änderungen hinterher laufen. Öffentlichkeitsarbeit über Medien usw. ist also sehr wichtig.

Vielen Dank, Herr de Man!

Hier finden Sie die Ergebnisse der Umfrage von Match-Patch zum Thema Kinderbetreuung und ein Interview mit Franzjörg Krieg vom Verein Väteraufbruch für Kinder zum Thema Gleichberechtigung für Väter

Ein umfassendes Buch zum Wechselmodell mit internationalen Forschungsergebnissen hat Frau Prof. Dr. jur. H. Sünderhauf verfasst: Wechselmodell: Psychologie – Recht – Praxis: Abwechselnde Kinderbetreuung durch Eltern nach Trennung und Scheidung (2013)

Foto: © motorradcbr – Fotolia.com

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  1. Konieczek schrieb:

    Sehr geehrte Damen und Herren,

    Viele Beiträge wie diese sind leider schon veraltet und es hat sich in Deutschland immer noch nichts getan !
    Warum auch? Die Justiz, die Arbeitgeber haben doch etwas davon, dass es so bleibt !

    Die interessiert nicht wirklich das Kindeswohl, das ist denen Scheißegal, bis es Ihr eigenes Kind ist !

    MFG Konieczek

  2. arktissommer schrieb:

    Auch hier wird in den Erläuterungen komplett ausgeklammert, wie beim Wechselmodell der Kindergarten- und Schulbesuch funktionieren soll, wenn die Elternteile so weit voneinander entfernt wohnen, daß bei abwechselndem Wohnen der Kinder beim einen oder anderen Elternteil ein Besuch des-/derselben Kindergartens/Schule nicht mehr möglich ist. Ein z.B. monatlicher Wechsel der Schule erscheint mir kaum sinnvoll.
    Daß das Wechselmodell in Norwegen Pflicht ist, ist mir neu – ich kenne etliche vom Expartner getrennte Norweger, die von diese(m/r) weit entfernt wohnen und wo die schulpflichtigen Kinder keineswegs wochen- oder monatsweise zwischen den Elternteilen hin- und herziehen und dabei entsprechend ständig die Schule wechseln würden.
    Wie schon andernorts geschrieben, kann das Wechselmodell meiner Ansicht nach nur dann funktionieren, wenn die Elternteile beide nah genug zusammen wohnen, daß die Kinder ihre Schule durchgehend besuchen können, egal, bei welchem Elternteil sie gerade sind. Dies bedeutet gleichzeitig, daß beide Elternteile beim Wechselmodell dadurch sowohl beruflich als auch hinsichtlich neuer Beziehung räumlich eng gebunden sind – wenn eine(r) von beiden beispielsweise weiter entfernt eine Arbeitsstelle angeboten bekommt, kann er/sie diese nur dann annehmen, wenn der/die Ex dann ebenfalls dorthin umzieht.

    • match-patch schrieb:

      Lieber Herr Reimann,
      vielen Dank für Ihren Zuspruch, wir werden das Thema auch zukünftig abhandeln und hoffen, Sie können Ihr Kind bald wechselseitig betreuen!

      Lieber Arktisommer,
      das Wechselmodell kann natürlich nur funktionieren, wenn die beiden Wohnungen nicht zu weit von einander entfernt liegen. Bevor sich Eltern trennen, wohnen sie jedoch zusammen, es müsste also nur ein weiterer Wohnsitz in der Nähe gefunden werden. Wer sorgeberechtigt ist, muss dem Umzug des gemeinsamen Kindes ohnehin zustimmen; eine Mutter kann nicht einfach mit dem Kind in 200km Entfernung ziehen, wenn der sorgeberechtigte Vater das nicht möchte. Laut der match-patch Umfrage wohnen 64% der Teilzeitväter in einem Umkreis von 20km zu ihren Kindern. Sie alle könnten das Wechselmodell praktizieren. Wie das Gesetz in Norwegen genau aussieht, wissen wir leider nicht, Prof. Sünderhauf handelt es aber in Ihrem Buch zum Wechselmodell ab: Inhaltsverzeichnis Wechselmodell

      Herzliche Grüße
      Ihr match-patch Team

  3. U. Reimann schrieb:

    Als Vater finde ich es sehr gut und sehr WICHTIG, dass sie sich als Partnerportal mit diesem Thema beschäftigen und dazu veröffentlichen.

    Mein Kind wünscht sich dieses Paritätische Wechselmodell schon lange und es wird endlich Zeit, dass es wie in z.B. Schweden (seit 2006) Gesetz wird. Nichts ist schlimmer für Kinder, als durch eine Trennung/Scheidung einen Elternteil zu verlieren und nicht häufig genug sehen zu können. Wir alle müssen die überkommenen Modelle der 60-70er Jahre des letzten Jahrhunderts endlich überwinden und auf das hören, was die KINDER wollen. Bitte weiter so !!!

    Ein Papa, der nichts liEber macht, als seine Zeit mit seinem Kind zu verbringen.