Wenn Kinder ohne Vater aufwachsen

von | 22. August 2016

Kinder wachsen ohne Vater auf, wenn die Eltern getrennt sind und ein Elternteil den Kontakt zum Kind unterbindet. Kinder leiden unter der Vaterentbehrung.

VaterentbehrungZu Kriegszeiten litten viele Kinder unter Vaterentbehrung, denn die Väter waren über Jahre hinweg gar nicht zuhause bzw. kehrten auch nicht mehr heim. Die Folgen für die Kinder waren dramatisch. Heutzutage leiden vor allem Trennungskinder unter Vaterentbehrung, wenn sich der Vater zurückzieht und keinen Kontakt mehr zum Kind haben möchte oder wenn die Mutter dem Vater den Umgang mit dem Kind untersagt und somit die Bindung der beiden zerstört.

Aufwachsen ohne Vater

Wer ohne Vater aufwächst, leidet unter dem Gefühl, defizitär zu sein. Ein vaterloses Kind spürt, dass etwas – nämlich eine wichtige Bezugsperson – in seinem Leben fehlt. Das kann bis ins Erwachsenenalter andauern. Dieses Gefühl kommt daher, dass die Vater-Mutter-Kind-Beziehung ein Dreieck ist und es Kinder spüren, sobald eine Ecke fehlt. Es tritt eine Mutter-Kind-Symbiose ein und viele Kinder haben Probleme, sich aus der engen Beziehung zur Mutter zu lösen und sich anderen Menschen zuzuwenden. Die Loslösung ist allerdings wichtig für die eigene Persönlichkeitsentwicklung.

Vaterentbehrung als Trauma

Viele Kinder mit abwesenden Vätern sind regelrecht traumatisiert. Sie führen einen Schattenkampf, der viel Kraft kostet, Lebensenergie raubt und die Kinder fühlen sich in einer Opferrolle. Ein verlassenes Kind ist ein verletztes Kind und es ist der Situation quasi hilflos ausgesetzt. Der Neurobiologe und Hirnforscher Ralph Dawirs sagt, die Konstellation Mutter-Vater-Kind sei der biologische Normalzustand und der Säugling ist auf die Liebe und Zuwendung beider Elternteile angewiesen, da dies für ihn überlebensnotwendig ist. Außerdem findet die Entwicklung des menschlichen Gehirns erst zu großen Teilen nach der Geburt statt. Vaterlose Kinder machen die Erfahrung des Verlassenwerdens und das hat gravierende Auswirkungen auf die Hirnentwicklung. In schweren Fällen kommt es zu einer fronto-limbischen Atrophie: Gehirnregionen, die für Einordnung, Archivierung und emotionale Verarbeitung von bestimmten Ereignissen zuständig sind, schrumpfen und üben ihre Funktion nicht mehr aus. Die Folgen sind Verhaltensauffälligkeiten (Rückzug, Hoffnungslosigkeit, Gleichgültigkeit) oder das Sinken des Hormonspiegels (Wachstums- und Reifungsstörungen). Ferner wird emotionaler Schmerz im Gehirn von den gleichen chemischen Substanzen gesteuert wie körperlicher Schmerz.

Vaterentbehrung bei Jungen und Mädchen

Vaterlos aufzuwachsen kann sich bei Jungen und Mädchen unterschiedlich äußern. Jungs gehen eher nach außen, werden aggressiv und laut, wohingegen sich das Drama bei Mädchen oft innerlich abspielt. Vaterentbehrung wirkt sich tendenziell auf die psychische und physische Gesundheit der betroffenen Kinder aus. Von schlechten Schulnoten und mangelndem beruflichen Erfolg sind Jungs und Mädchen gleichermaßen betroffen. Mädchen können ein gestörtes weibliches Selbstbild entwickeln. Dann drohen instabile sexuelle Identitätsgefühle, sie lassen sich leichter sexuell missbrauchen, werden früh schwanger und es gibt zahlreiche Partnerschaftsprobleme. Die Scheidungswahrscheinlichkeit liegt bei 92%. Jungen sind oft durch sexuelle Störungen, Partnerschaftsschwierigkeiten, Bindungslosigkeit zu Frauen oder Donjuanismus belastet. Bei Jungs schlagen sich die sozialen Folgen der Vaterentbehrung am nachhaltigsten nieder: Es kommt überdurchschnittlich häufig zu Verwahrlosung, Gewaltkriminalität und Alkohol- sowie Drogenabhängigkeit. Außerdem sind sie wie Mädchen auch von seelischen Erkrankungen wie Neurosen, Depressionen, Schizophrenie, schweren Persönlichkeitsstörungen und Suizidgefahr betroffen.

Vaterentbehrung verarbeiten

Entscheidend für die Verarbeitung der Vaterentbehrung sind zum einen das Umfeld und positive Erfahrungen, die das Kind macht. Aber auch die Art, wie die Mutter über den Vater spricht und ob sich das für das Kind ehrlich anfühlt, ist wesentlich. Sonst zweifelt das Kind an seiner eigenen Wahrnehmung und das wiederum verstärkt seine Selbstzweifel. Die Abwärtsspirale beginnt…

Väter, denen der Umgang mit ihrem Kind verweigert wird, finden in diesen Interviews Hilfestellung:
Getrennte Väter kämpfen um Gleichberechtigung
Wenn der Vater um sein Kind kämpfen muss

Quelle: Hagen, Jeanette (2015): Die verletzte Tochter. Wie Vaterentbehrung das Leben prägt. Scorpio Verlag, München

Foto: Halfpoint – Fotolia.com

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  1. Amira schrieb:

    Das mag für manche Kinder stimmen, aber nicht für alle. Ich bin ohne Vater aufgewachsen und habe mich nie “defizitär” gefühlt.
    Bei mir war es aber so, dass meine Mutter und mein Vater nach der ungeplanten Schwangerschaft gemeinsam entschieden haben, dass meine Mama mich allein großzieht. Sie hat nie Unterhalt von meinem Vater bekommen, im Gegenzug hat er sich komplett aus meinem Leben herausgehalten. Ich kannte es also nicht anders. Ich bin mit dem Wissen aufgewachsen, dass meine Mama sich ehrlich und mit Liebe für mich entschieden hat sobald sie von mir erfahren hat und mein Vater ebenfalls ehrlich zu sich und zu ihr war in seiner Entscheidung, nicht mein Vater sein zu wollen. Das ganze Drama von Scheidungskindern ging an mir vorbei, ich habe es nie anders gekannt und bin sehr behütet und in einer liebevollen Familie aufgewachsen.
    Habe es selbst trotzdem anders gemacht, mein Mann und ich waren schon 10 Jahre verheiratet, als wir uns gemeinsam für Kinder entschieden haben. Und bei uns läuft alles super.
    Meinen Vater habe ich nie aufgesucht, ich glaube auch, dass ich das nie werde. Aber ich habe keinerlei negative Gefühle für ihn. Von ihm habe ich wohl einige meiner Talente geerbt und die schätze ich an mir 🙂 .
    Ich glaube also, dass man da nichts pauschalisieren darf.
    Herzliche Grüße!