Kinder in schwierigen Lebensphasen stärken
von Dr. phil. Sonja Deml | 28. April 2022
Auch Kinder durchleben Krisen und leiden darunter. Sie brauchen Unterstützung, um möglichst stabil aus einer solchen hervorzugehen. Hier kommen Tipps für Familien.
Kinder werden wiederholt mit einschneidenden Ereignissen konfrontiert, wie zum Beispiel der Geburt eines Geschwisterkindes, Eintritt in den Kindergarten, Zahnwechsel, Einschulung und Pubertät. Manchen Kindern widerfahren zudem Lebenskrisen wie Trennung der Eltern, Schulprobleme oder Tod eines nahestehenden Menschen. Die Corona-Maßnahmen haben die Kinder völlig unvorbereitet getroffen und viele in eine große Entwicklungskrise gestürzt, resultierend aus Unsicherheiten, Ängsten und Lerndefiziten. Kindern fehlte im Lockdown die Interaktion mit Gleichaltrigen, Bewegung und sinnvolle Beschäftigung, da neben den Kitas und Schulen auch Freizeit- und Sportstätten geschlossen waren. Durch den Lockdown wurde die soziale Kontrolle ausgeschaltet und viele Kinder und Jugendliche erlebten häusliche Gewalt und sexuelle Übergriffe. Was bewirken all diese Problem bei unseren Kindern und wie können wir sie stärken? Antworten gibt die Sozialpädagogin und Systemische Beraterin Carola Hanusch.
Sonja Deml: Was sind die häufigsten Schwierigkeiten unserer Kinder?
Carola Hanusch: Neben der Coronakrise sind die Krisen der Kinder die gleichen wie immer. Sie haben Angst vor zu viel Druck in der Schule, Versagensängste, Angst von Freunden nicht gemocht und geschätzt zu werden, Ängste vor Mobbing oder Ausgrenzung, Trennung und Scheidung der Eltern. Ich denke in den letzten zwei Jahren haben wir in einer Art “Blase” gelebt, in der der Fokus fast ausschließlich auf die Pandemie gerichtet war und dies hat die eigentlichen Probleme hintenangestellt. Jetzt, wo sich die Lage etwas beruhigt, müssen diese Themen wieder angegangen werden.
Sonja Deml: Auf welch’ unterschiedliche Arten zeigen Kinder, dass es ihnen nicht gut geht?
Carola Hanusch: Ich habe Kinder, die mit Rückzug reagieren, aber auch Kinder, die aggressive Verhaltensweisen zeigen, sowohl gegenüber anderen als auch gegen sich selbst. Gerade Jugendliche, die schon vor der Pandemie mit vielen eigenen Themen zu kämpfen hatten, tragen diese noch deutlicher und extremer nach außen. In der ersten Zeit nach dem Lockdown verweigerten Kinder und Jugendliche häufig die Schule, aus Angst zu versagen oder wieder anderen Menschen zu begegnen. Es war leicht, sich zu Hause in seiner eigenen Welt zu verstecken. Was auch deutlich zu spüren war, war, dass sich die Sprache und Ausdrucksweise der Jugendlichen verändert hatte. Oft war sie eher respektlos und aggressiv auch den Erwachsenen gegenüber. Man hatte den Eindruck, sie würden immer noch in der eher distanzierten WhatsApp-Sprache reagieren. Ich glaube aber, dass sich jetzt erst die Anfänge der Verarbeitung der Krise zeigen und wir in den nächsten Jahren noch mit vielen unterschiedlichen Arten der Reaktion auf die Pandemie rechnen müssen.
Sonja Deml: Wieso reagieren Kinder so unterschiedlich?
Carola Hanusch: Meiner Meinung nach hat dies unterschiedliche Faktoren. Ich denke, dass dies auch damit zusammenhängt, wie sich Kinder und Jugendliche bisher selbst erlebt haben. Eher unsicher und ängstlich oder zuversichtlich und wirksam. Oder auch, wie sie vorherige Krisen überwunden haben – gingen sie geschwächt oder gestärkt dabei hervor? Und sicherlich sind auch die Vorbilder, die Kinder in ihren Leben haben, ein entscheidender Punkt. Wenn in der Familie eher die Zuversicht herrscht, dass Probleme bewältigt werden können und sie gemeinsam an einer Lösung arbeiten, werden auch Kinder entspannter durch Krisen gehen. Reagieren die wichtigsten Menschen eher unsicher und verängstigt, nehmen dies die Kinder wahr und nehmen sich diese Reaktionsweisen als Vorbild. Nichtsdestotrotz gibt es auch Kinder, deren Eltern zuversichtlich sind und sie selbst eher ängstlich und umgekehrt.
Sonja Deml: Was brauchen unsere Kinder, um möglichst gut gerüstet für die “Welt da draußen” zu sein?
Carola Hanusch: Grundsätzlich ist es meiner Meinung nach wichtig, Kinder zu stärken und ihnen viele Möglichkeiten zu schaffen, sich selbst als wertvoll und wirksam zu erleben. Kinder brauchen Erfolgserlebnisse, um über sich hinaus zu wachsen. Sie brauchen das eigene Erleben, dass sie gestärkt aus schwierigen Lebenssituationen hervorgehen können und positiv gestimmte Vorbilder. Wir dürfen unseren Kindern ruhig zutrauen, dass sie gute Bewältigungsstrategien entwickeln können für ihre Zukunft. Wenn wir versuchen, ihnen alle Unannehmlichkeiten und Konflikte aus dem Weg zu räumen, verunsichern wir sie und nehmen ihnen das Gefühl der Wirksamkeit. Wenn uns Corona eines gezeigt hat, dann ist es, dass es nicht möglich ist, Kinder vor allem zu schützen und das müssen wir auch nicht, denn sie sind stärker und kreativer im Lösungen finden, als wir denken.
Sonja Deml: Vielen Dank.
Abschließend möchten wir dir noch einen Rat für starke Kinder der Lehrerin, Autorin und Illustratorin Verena Steiner mitgeben: „In meinen Augen brauchen Kinder bedingungslose Liebe, Sicherheit und eine Erziehung, die nicht aus Machtmissbrauch und Kontrolle besteht, sondern aus Respekt und Stabilität. Dabei sind Zeit, Wertschätzung, Nähe und Empathie wertvolle Begleiter in der Beziehung zu unseren Kindern. Ein Kind darf sein, wie es ist. Es ist gut – genau so, wie es ist. Und ich würde gerne Astrid Lindgren zitieren: Gebt den Kindern Liebe, mehr Liebe und noch mehr Liebe, dann stellen sich die guten Manieren ganz von selbst ein.“
Verena Steiner zeigt großen und kleinen Kindern in ihrem Buch „Und was kannst du?“, erschienen im Elefantenkindverlag, wie sie möglichst stark werden und sich nicht von anderen einschüchtern lassen.
Carola Hanusch hat in Zusammenarbeit mit Susanne Paulus „Mein Stärkenrucksack“, ein Arbeitsheft zur Stärkung des Selbstbewusstseins für Kinder und Jugendliche ab 9 Jahren bei neuDENKEN Media veröffentlicht. Mehr Infos zum Heft und den Stärkenprojekten der beiden Autorinnen erfährst du auf www.mein-staerkenrucksack.de.
Foto: Canva.com
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