Kopftuch und Vollverschleierung an Schulen verbieten?
von Dr. phil. Sonja Deml | 4. März 2020
Das Tragen von Kopftuch oder Vollverschleierung wird kontrovers diskutiert. Einige Bundesländer planen ein Verbot der Verschleierung von Mädchen an Schulen.
Ob das Kopftuch ein Symbol der Würde oder der Unterdrückung von Frauen und auch schon von jungen Mädchen ist, ist selbst innerhalb der muslimischen Gemeinschaft unklar. Für einige ist die Verschleierung, angefangen vom Kopftuch bis hin zur Burka, ein religiöses Symbol, für andere steht der politische Gedanke im Vordergrund und wiederum anderen geht es um die Unterdrückung der Frauen. Feministinnen, die sich verschleiern, möchten damit ihre Würde als Frau wahren und sich vor anzüglichen Blicken schützen. Wenn bereits Mädchen im Kindergarten oder in der Schule verschleiert sind, führt das oftmals zu Problemen. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hat es einer Schülerin erlaubt, vollverschleiert zum Unterricht zu erscheinen, nachdem die Schule es ihr zunächst untersagt hatte. Deshalb planen einige Bundesländer nun eine Reform ihrer Schulgesetze.
Formen der Verschleierung
Es gibt vielfältige Formen der Verschleierung. Zunächst kennen wir Hidschab – das Kopftuch, das Haare, Ohren und Hals bedeckt. Al-Amira verhüllt Haare, Ohren, Hals und Schultern. Da Al-Amira beim Sport(unterricht) auch hält, wird sie oft von Mädchen getragen. Chimar sieht einem Capé ähnlich und reicht bis zur Taille. Tschador ist ein großes Tuch, das bis zu den Knöcheln geht. Das Gesicht ist frei, aber der Hals soll bedeckt sein, weshalb das Tuch unter dem Kinn zusammengehalten wird. Nikab wird auch Niqab geschrieben und ist ein schwarzer Gesichtsschleier, ergänzt von einem langen Kleid (Abbaya). Beim Nikab sind nur die Augen zu sehen. Nikab sieht der Burka ähnlich, allerdings werden bei der Burka die Augen hinter einem Augengitter verborgen.
Die Wirtschaft hat sich auf die Nachfrage nach Kopftüchern und Kleidern eingestellt. Der Sporthersteller Nike produziert beispielsweise ein eigenes Sport-Kopftuch. Das dürfte Mädchen und junge Frauen ansprechen. Nike ist schließlich eine trendige Marke und diese jungen Frauen sind ja durchaus modebewusst. Sie tragen gerne angesagte Kleidung, Handtaschen und Schuhe – auch unter der Abbaya bzw. Burka. Zudem dürfen die Kleider hochwertig sein und deshalb gibt es in fast allen Städten Modeläden für Burkas und Nikabs sowie im Online-Versand. Die Nachfrage bestimmt schließlich den Markt und die Stoffe sind nicht nur aus gedeckten Farben, sondern auch richtig bunt. Damit sollen vielleicht möglichst junge Mädchen angesprochen werden. Denn online und im Laden gibt es auch schon Kinderkopftücher zu erstehen. Die Verschleierung der jungen Frauen beginnt oft bereits in der Kindheit.
Hintergründe der Verschleierung
Durch das Verhüllen soll die Ehre der Frau gewahrt werden. Und die Ehre einer Frau wird durch anzügliche Blicke von anderen Männern gefährdet. Die Haare und die Haut soll möglichst verhüllt sein, damit eine Frau einem anderen Mann außer ihrem Ehemann keine sexuellen Gefühle bereitet. Insofern ist das Verschleiern ein Symbol von Patriarchat, Unterdrückung und Geschlechter-Apartheit. Alle Verschleierungen von Kopftuch bis zur Burka werden in einigen islamischen Ländern den Frauen vorgeschrieben. Oder es wird ihnen von ihrer Familie bzw. den Männern aus ihrer Familie aufgezwungen. Oft spielt auch Druck aus dem sozialen Umfeld eine Rolle oder es droht der Ausschluss aus der Gemeinschaft. Es ist schlimm, dass Mädchen und erwachsene Frauen nicht selbst entscheiden dürfen, wie sie sich kleiden, sondern einem patriarchalischen System folgen müssen um Diskussionen, Konflikte, psychische und physische Gewalt abzuwenden. Sich unterdrücken lassen um heiratsfähig zu bleiben und ihrer kleinen Tochter selbst das Kopftuch anzulegen..?
Verschleierung von Mädchen
Verschleierte Mädchen im Kindergarten sind zwar (noch?) eine Ausnahme, in der Grundschule sind Mädchen mit Kopftuch schon häufiger anzutreffen und in weiterführenden Schulen bzw. an der Uni werden es immer mehr. Wenn Mädchen mit Kopftuch im Unterricht erscheinen, wirft das zahlreiche Probleme auf, denn Lehrer und Lehrerinnen sehen die Schule als freien Raum, in dem Kinder und Jugendliche ein Leben in Selbstbestimmung erfahren und sie dies positiv besetzen. Außerdem sollen hierzulande Jungen und Mädchen als gleichberechtigte Menschen erzogen werden, fern jeglicher Unterdrückung und sie sollen sich auch gleichberechtigt fühlen. Schulen lehnen eine Sexualisierung von Mädchen durch die Verschleierung ab und möchten ihren Schülerinnen ins Gesicht und offen in die Augen sehen können. Ein verhülltes Gesicht erschwert oder verhindert die Kommunikation. Außerdem muss erkennbar sein, wer sich hinter der Vollverschleierung verbirgt. Das ist ja auch bei Tests wichtig.
Verschleierungsverbot an Schulen
Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht hatte das Tragen eines Gesichtsschleiers in der Schule gestattet, nachdem die Schule dem Mädchen die Verhüllung verboten hatte. Nun drängt die baden-württembergische Kultusministerin Susanne Eisenmann auf eine Änderung des Schulgesetzes. Und auch andere Bundesländer wie Hamburg, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz planen, das Verbot der Vollverschleierung ins Schulgesetz aufzunehmen. Laut dem Hamburger Schulsenator Ties Rabe funktioniert Unterricht nur, wenn LehrerInnen und SchülerInnen ein offenes, freies Gesicht haben.
Necla Kelek ist Soziologin mit türkischen Wurzeln und sie empfindet das Tragen einer Verschleierung bei Mädchen unter 18 Jahren nicht als Religionsfreiheit, sondern als Verletzung der Menschenrechte, die man gesetzlich unterbinden muss. Necla Kelek zufolge war eine der großen Errungenschaften Atatürks die Verbannung des Kopftuchs aus Schulen, Universitäten und Behörden in der Türkei. Die Haare offen zu tragen war ein Zeichen der modernen türkischen Mädchen und Frauen und Necla Kelek beklagt den Trend wieder hin zur Verschleierung. Außerdem sieht die Soziologin, dass der Druck in Deutschland schon auf kleine Mädchen gewachsen ist, sich den islamischen Regeln zu unterwerfen. Necla Kelak spricht sich für ein Verschleierungsverbot an deutschen Schulen aus.
Da Mädchen ohne Kopftuch oder Schleier oftmals von ihren Mitschülern oder anderen (erwachsenen) Glaubensanhängern auf ihre Pflicht zur Verhüllung angesprochen, beleidigt oder beschimpft werden, muss das Selbstwertgefühl der Mädchen gut gestärkt sein und LehrerInnen sollten auf solche Konflikte vorbereitet sein.
Terre des Femmes fordert ein Verbot des Kinderkopftuchs
Terre des Femmes e.V. kämpft gegen die Verschleierung von Mädchen aller Altersstufen, da das Kopftuch für sie ein Zeichen der Diskriminierung und Sexualisierung von Minderjährigen ist. Terre des Femmes fordert deshalb ein gesetzliches Verbot des Kinderkopftuchs in Ausbildungsinstitutionen. Die Organisation möchte, dass Mädchen frei sind und sich körperlich sowie seelisch frei entwickeln können. Sie sollen den Wind in den Haaren und die Sonne auf der Haut spüren, Wasser beim Schwimmen an ihren Körper lassen, nicht eingeschränkt werden und sich spontan bewegen können. Außerdem sollen Mädchen ein unverhülltes, selbstbestimmtes Denken und Handeln entwickeln und zu einem unverkrampften Verhältnis zur eigenen Sexualität kommen, wenn sie dafür reif sind. Verschleierung kann zu Licht- und dem daraus entstehenden Vitamin D-Mangel führen. Allgemeine Entwicklungsstörungen durch Bewegungsmangel sieht Terre des Femmes ebenfalls als Gefahr an. Ferner besteht die Gefahr der gefühlten und echten Zurücksetzung gegenüber den freien Jungen. Der Körper der Mädchen soll nicht länger als Lustobjekt sexualisiert werden und Mädchen sollen nicht grundsätzlich das Feindbild Mann als ständige sexuelle Bedrohung vor sich sehen. Außerdem ist mit dem Tragen einer Verschleierung der Drill zu einer minderwertigen Rollen-Identität als Frau verbunden. Terre des Femmes hat eine Unterschriftenaktion gestartet, mit der sie die Rechte der Mädchen stärken will: Petition DEN KOPF FREI HABEN!
Filmempfehlung: Der Film „Nur eine Frau“ erzählt die wahre Geschichte der jungen zwangsverheirateten Aynur (Hatun Sürücü). Aynur verletzt die Ehre ihrer Familie in mehrfacher Weise, u.a. legt sie ihr Kopftuch ab und beginnt ein freies, selbstbestimmtes Leben. Am 07. Februar 2005 wurde Aynur mitten in Berlin von ihrem jüngsten Bruder erschossen. Die Geschichte eines Ehrenmordes…
Foto: Binti Malu von Pexels – Canva.com
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