Familienstreit: So vermeidest du Eskalation
von Dr. phil. Sonja Deml | 29. März 2022
Konflikte kommen in den meisten Familien vor. Das ist normal, doch der Streit sollte nicht eskalieren. Vielmehr muss Respekt voreinander gewahrt bleiben.
Gerade in Zeiten eines erhöhten Konfliktpotenzials sind in vielen Familien Streitereien an der Tagesordnung. Das nervt nicht nur, sondern es entkräftet auch die Familienmitglieder, entzweit sie oftmals voneinander und belastet alle. Gerade Kinder fühlen sich durch zu viel Streit schnell ungeliebt, verlieren den Halt und leiden stark. Deshalb ist es wichtig, Konflikte möglichst respektvoll zu lösen.
Die Intensität von Familienstreit
Familien streiten unterschiedlich: Manche offen, energiereich und temperamentvoll, andere leise und eher verdeckt – manche streiten häufig, andere selten. Die Intensität des Familienstreits hängt mit dem Temperament der Familienmitglieder, mit dem Streitthema, mit der Tagesform usw. zusammen. Dabei gibt es kein „richtig“ oder „falsch“. Weder die Frequenz noch die Lautstärke beim Streiten sagen etwas über die Verbundenheit und die Liebe zwischen den Familienmitgliedern aus, so die systemische Familientherapeutin Tita Kern. Sie betont sogar, dass Streit wichtig ist für die Entwicklung und die gesunde Beziehungsgestaltung. Deshalb hat sie wertvolle Tipps fürs Streiten in der Familie, damit die Auseinandersetzungen nicht über die Kräfte der einzelnen gehen.
Streit orientiert sich an der schwächsten Person
Das grundlegendste Prinzip ist: Auch das Familienmitglied mit der wenigsten Kraft soll bei der Diskussion mithalten können – sonst ist es von vornherein unfair! Der stressige Job, kraftraubende Schulaufgaben, Kopfschmerzen usw. werden also berücksichtigt und die Familienmitglieder verstehen, dass jemand gerade nicht so viel Energie zum Diskutieren hat. Orientierung an der schwächsten Person bedeutet aber auch, sich beim Streit mit Kindern verbal auf eine Ebene zu begeben und Kindern, die rhetorisch noch nicht so fit sind, genügend Zeit für die Erklärung ihrer Sichtweise zuzugestehen.
Nicht zu viel streiten
Familien sollten Konflikte ernst nehmen, aber auch nicht unnötig aufblasen. Nicht jede Unstimmigkeit ist einen Streit wert, sondern oftmals erledigt sich Konfliktpotenzial von selbst. Natürlich sollten sich alle Familienmitglieder an Regeln halten, doch bei Kleinigkeiten sollten Eltern zunächst überlegen, ob sich die Aufarbeitung des Fehltritts überhaupt lohnt. Manchmal ist es besser zu betonen, dass etwas eigentlich nicht okay war, aber man das jetzt einfach mal gut sein lässt.
Schnecken und Haie in der Familie
Schnecken sollte man nicht schütteln und Haien nicht ins Maul fassen. Manche Menschen ziehen sich bei Konflikten in ihr Schneckenhaus zurück, wiederum andere gehen wie kämpfende Haie blind zum Angriff über. Beides sind Stressreaktionen, die nicht dem freien Willen unterworfen sind. Deshalb ist es wichtig, beide Reaktionen zu akzeptieren und Schnecken sowie Haien genügend Zeit und Freiraum zu geben, um sich zu regulieren: Schnecken kommen nicht aus dem Haus, wenn man sie schüttelt und den aufgeregten Hai stoppt man nicht, indem man ihm ins Maul fasst!
Wenn man nicht so recht vorankommt oder eine Eskalation droht, sollten Familien die Auseinandersetzung unterbrechen. Das gilt auch, wenn der Umgang unfair oder verletzend wird. Dann sollten sich alle für etwa 20 Minuten zurückziehen und sich ablenken. Bewegung ist eine gute Möglichkeit, den Kopf freier zu bekommen. Nach dieser Auszeit merken alle, wie viel Ladung das Thema überhaupt noch hat. In der Regel haben sich durch diese Auszeit die Wogen bereits etwas geglättet und die Familienmitglieder können ruhiger und respektvoller aufeinander zugehen.
Wiedergutmachung nach dem Familienzoff
Nach einem Streit sollten sich alle entschuldigen, versöhnen und das Negative wiedergutmachen. Das ist wichtig, denn etwas Schmerzhaftes ist passiert und das benötigt etwas Schönes als Gegengewicht. So lernen auch schon die Kleinsten, dass Konflikte auch mal heftiger angegangen werden, aber man danach um Verzeihung bittet, Verständnis für den Streitpartner hat und möglicherweise sogar die Perspektive wechselt. Wiedergutmachung kann durch Worte, Gesten und Handlungen erfolgen – also ernstgemeinte, liebevolle Worte, Streicheln und Umarmen oder eine leckere Tasse Kakao, die man sich nach all dem Stress gönnt.
Quelle: Kern, Tita (2021): Wenn das Leben kippt. Kösel Verlag
Foto: Canva.com
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