Warum gibt es eigentlich so viele Singles?
von Dr. phil. Sonja Deml | 17. Oktober 2010
Warum gibt es in Deutschland so viele Singles? Gibt es eine Single-Gesellschaft oder erscheinen uns die Singles nur so präsent?
Betrachtet man sein Umfeld, fragt man sich oft, warum der- oder diejenige Single ist und was passiert ist, dass es heute so viele Singles gibt. Singles gab es ja schon immer. Unverheiratete Frauen wurden abwertend als „alte Jungfer“, „spätes Mädchen“ oder „Fräulein“ bezeichnet, ledige Männer hießen „alter Junggeselle“ oder „Hagestolz“. Der Begriff „Single“ kommt aus den USA und etablierte sich in den 1970er Jahren in Deutschland. Daraus entstand eine neue Diskussion über dieses Phänomen.
Ursachen für die Präsenz der Singles
Was sind aber die Ursachen für die Präsenz der Singles? Die gestiegene Lebenserwartung, der Wertewandel, die Liberalisierung der Sexualmoral sowie neue Bildungs- und Karrierechancen, die Frauenerwerbstätigkeit, die Emanzipationsbewegung und die Wohlstandsentwicklung sind unter anderem „schuld“. Betrachten wir diese Punkte genauer:
Im 18. Jahrhundert bedeutete „bis dass der Tod Euch scheidet“ für jung Verheiratete höchstens 30 Jahre. Die heutige potenzielle Ehedauer ist wegen der längeren Lebenserwartung doppelt so hoch. Manche denken, dass die Menschen früher länger zusammen blieben, aber das Erreichen der „Goldenen Hochzeit“ ist eine Erscheinung der Neuzeit. Geändert hat sich die Basis von Partnerschaften. Bis zum 18. Jahrhundert war die Heirat aus Liebe ein Skandal. Heute ist die Liebe fundamental und muss über eine längere Zeitspanne aufrechterhalten werden. Geht die Liebe verloren, scheitert meist auch die Paarbeziehung.
Die Liebe ist ein grundlegender Wert. Andere Werte (z.B. Gehorsam, Disziplin) haben sich zwar in den letzten 50 Jahren verändert, aber zu einem Verfall kam es nicht. Treue, Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit sind zentrale Werte. Gelockert hat sich z.B. die Sexualmoral und Sexualität ist nicht mehr auf den innerehelichen Bereich beschränkt. Sexualität und Liebe können getrennt ausgelebt werden, was für viele Frauen befreiend wirkte. Doch es gibt vermehrt (nicht-)religiöse Bewegungen junger Menschen, die sich gegen vorehelichen Geschlechtsverkehr, also für eine „Rück-Koppelung“ von Liebe und Sexualität, aussprechen.
Frauen haben sich nicht nur im sexuellen Bereich emanzipiert, sondern die Frauenbewegungen haben zu einer generellen Emanzipation beigetragen. Weil mehr Frauen erwerbstätig, also finanziell selbständig sind, brauchen sie heute nicht zwangsläufig einen Mann als Versorger. Die Bildungsrevolution hat den Grundstein für neue Berufschancen gelegt. Dadurch müssen die Familienrollen anders strukturiert werden. Familie und Beruf müssen vereinbart werden, was oft zu innerfamiliären Spannungen und zur Trennung führt.
Neue Familienformen
Die traditionelle Kleinfamilie wurde durch alternative Familienformen (Singles, Alleinwohnende, Singles mit Kind, Patchwork-Familien usw.) ergänzt und durch die Legalisierung der Scheidung und somit dem vermehrten Auftreten von Scheidungsfamilien erreichte die Ehescheidung in der paarorientierten Gesellschaft eine gewisse Akzeptanz.
Insgesamt ist der Mensch in der Lage, mehr über sich selbst zu bestimmen, denn alte Zwänge gelten nicht mehr (Individualisierung). Es gibt neue Lebensformen. Diese stellen aber oft gescheiterte Versuche dar, ein traditionelles Familienleben zu führen. Eine negative Folge der Individualisierung ist die Singularisierung, also die Vereinsamung. Die Familie ist nämlich trotz aller Problematiken ein stabiles Gebilde, ein schützender Rückzugsraum. Dieser Raum wird umso mehr vermisst, je ferner er ist.
In der sich globalisierenden Welt ist es komplizierter, Paarbeziehungen einzugehen, aufrecht zu erhalten und eine Familie zu gründen. Die Anforderungen an den Einzelnen sind gestiegen und verschiedene Lebensentwürfe müssen miteinander vereinbart werden. Im Zuge dessen haben sich „neue Frauen“ und „neue Männer“ mit unterschiedlichen Vorstellungen, Wünschen, Lebenskonzepten und Aktionsradien entwickelt.
Vor allem die Frauen haben sich von ihrer ursprünglichen Rolle entfernt und die Bildungsexpansion hat Differenzen zwischen den Geschlechtern produziert. Frauen besitzen ein höheres Bildungsniveau, doch damit haben manche Männer Probleme. Männer heiraten lieber „nach unten“ und hoch gebildete Frauen haben es oft schwer, einen Partner zu finden. Es gibt längere Single-Phasen und eine Aneinanderreihung von Paarbeziehungen im Lebenslauf. Jede Partnerschaft hinterlässt einen „Kriterienkatalog“, also Ansprüche an den Folgepartner bzw. die Folgepartnerin. Hier ist Kompromissfähigkeit erforderlich und die Bereitschaft, sich von vergangenen Beziehungen frei zu machen, damit der Start in ein neues Liebesglück gelingt.
Gibt es heutzutage mehr Singles?
Gibt es nun wegen all dieser Umbrüche mehr Singles? Nein. Es sind sogar weniger als propagiert wird. Dies ist auf statistische Unschärfen zurückzuführen, denn demnach ist ein Single jemand, der in einem Einpersonenhaushalt lebt. Das kann so nicht gelten, denn nicht in jedem Einpersonenhaushalt wohnt ein Single. Viele Alleinwohnende führen eine Partnerschaft, andere leben der Statistik nach zusammen, sind aber getrennt. Alleinerziehende oder Verwitwete können in Mehrpersonenhaushalten leben, aber Single sein usw. Eigenen Schätzungen zufolge sind weniger als 10% der Deutschen Single. Das scheint wenig und könnte Bedenken verursachen, darunter seine große Liebe zu finden. Jedoch relativieren sich die Zahlen wenn man bedenkt, dass sich die Zusammensetzung recht schnell ändert und die „Singledichte“ in Großstädten deutlich höher ist. Der „Partnermarkt“ ist dynamisch und letztendlich braucht es nur einen Menschen, der das persönliche Glück vervollständigt.
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