Trotz Trennung gute Eltern sein
von Dr. phil. Sonja Deml | 26. November 2010
Kinder leiden meist sehr darunter, wenn sich ihre Eltern trennen. Sie brauchen Zeit, um sich an die neue Situation zu gewöhnen und dürfen nicht als Rechtsanwälte missbraucht werden.
Der Sohn einer meiner Klientinnen begann mit vier Jahren eine Therapie, in der er sein bisheriges Leben verarbeiten lernte. Viel zu lange musste er mit ansehen, wie sich seine Eltern beschimpften und handgreiflich wurden. Der Kleine konnte trotzdem nicht verstehen, warum Papa auszog und machte immer wieder den Vorschlag, die Eltern sollten sich doch ein Bussi geben und wieder lieb haben. Dass eine Trennung für alle Beteiligten besser ist, begriff der Junge nicht, hatte er doch gelernt, dass nach einem Streit eine Entschuldigung fällig ist und man sich wieder verträgt. Außerdem wurde ihm gesagt, dass Mama und Papa ihn doch immer lieb haben. Und die Liebe zu seinen Eltern ist auch unendlich. Warum können sich dann Mama und Papa nicht auch einfach lieb haben?
Auswirkungen einer Trennung auf die Kinder
Kinder sind recht altmodische Menschen. Sie wünschen sich, dass die Eltern verheiratet sind oder zumindest zusammen wohnen und die Familie zusammenhalten. Zugleich sind sie sensibel genug um zu merken, wenn etwas nicht stimmt, auch und gerade wenn Konflikte nicht offen ausgetragen werden.
Ist eine Trennung oder Scheidung unvermeidlich, dann ist dieser Prozess für alle Familienmitglieder eine schmerzhafte Erfahrung. Man darf die Auswirkungen dieser gravierenden Entscheidung auf die Kinder nicht unterschätzen. Einigen tut es gut, endlich aus der psychisch schwierigen Situation herauszukommen, aber viele Trennungskinder kommen mit der neuen Lage schlecht klar. Das kann sich z. B. in nächtlichem Einnässen, Aggressivität, depressiver Verstimmung oder schlechteren Schulnoten zeigen. Nicht nur die Eltern brauchen Unterstützung, sondern auch die Seelen der Kinder jeden Alters. Sind sie noch klein, dann können sie sich zwar nicht mehr an bestimmte Vorfälle erinnern, aber die Gefühle bleiben.
Kinder bedürfen einer Erklärung für die Trennung ihrer Eltern
Als Folge können psychische Störungen oder Verhaltensauffälligkeiten auftreten. Das ist oftmals das Ergebnis unausgesprochener Dialoge, denn es ist wichtig, den Kindern entsprechend ihres Alters zu erklären, warum diese Situation eingetreten ist. Dabei sollte die Trauer über den Verlust der gewohnten Familie nicht tabuisiert werden. Es ist zudem gut, wenn andere Verwandte (Oma, Opa, Tante, Onkel etc.) als Bezugspersonen erhalten bleiben und die Kontaktfrequenz der Kinder zu beiden Eltern möglichst schnell und klar geregelt wird. Dabei können beispielsweise Mediatoren helfen. Es ist nicht nur entscheidend, wie viel Zeit das Kind bei einem Elternteil verbringt, sondern wie viel gute Zeit. Qualität geht vor Quantität, aber dennoch sollte ein guter regelmäßiger persönlicher, telefonischer, schriftlicher Kontakt bestehen, um die Bindung aufrecht zu erhalten.
Rücksichtnahme auf die Kinder
Auch wenn die Wut auf den Ex–Partner bzw. die Ex–Partnerin groß ist, so dürfen Kinder nicht als „Rechtsanwälte“ missbraucht werden, die sich auf die eine oder andere Seite schlagen und gegen den „Schuldigen“ sind. Kinder fühlen sich hin- und hergerissen zwischen den zwei wichtigsten Menschen in ihrem Leben. Auch wenn die Erwachsenen es nicht geschafft haben, gute Partner zu sein, so können sie doch gute Eltern sein.
Dabei ist ein Zusammenbleiben um jeden Preis nicht das Entscheidende, denn ständiger Streit der Eltern ist belastender als eine Trennung. Das muss für Kinder kein unvermeidliches Desaster in ihrer Entwicklung sein. Dieser Lebenseinschnitt sollte aber möglichst nicht mit anderen Umbrüchen wie z. B. Kindergarteneintritt zusammenfallen. Kinder brauchen Zeit, sich an neue Situationen zu gewöhnen. Dass Kinder glücklich aufwachsen ist weniger eine Frage des Familienmodells, als vielmehr der Art, wie man mit ihnen umgeht. Kindern muss klar gemacht werden, dass sie nichts dafür können und beide Eltern sie trotzdem lieb haben und für sie da sind, wenn sie sie brauchen.
Der Sohn meiner Klientin blühte nach einiger Zeit übrigens richtig auf und wurde zu einem lebensfrohen, unbeschwerten Kind. Aus dem Trennungskind wurde nach zwei Jahren ein glückliches Patchworkkind, der große Bruder eines kleinen Mädchens, das in die neue Familie geboren wurde und alle genießen das Familienleben in vollen Zügen.
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