Nein-Sagen in der Erziehung
von Dr. phil. Sonja Deml | 28. Januar 2025
Eltern kommen irgendwann an den Punkt, Nein sagen zu müssen. Das ist nicht immer leicht. Ab wann verstehen Kinder ein „Nein“?
Kinder müssen ihre eigenen Erfahrungen machen, denn so lernen sie am besten. Doch Eltern müssen ihre Kinder auch vor Gefahren schützen. Deshalb fällt es vielen Eltern schwer zu entscheiden, ab welchem Alter und in welchen Situationen ein Nein angebracht ist und wann Kinder selbst wissen sollten, dass sie etwas nicht tun dürfen. Der Kinderarzt und Kinderanalytiker Donald W. Winnicott spricht von den drei Stadien des Nein-Sagens. Dabei kommt es weniger auf ein konkretes Alter des Kindes an, sondern auf seinen Entwicklungsstand.
Erstes Stadium des Nein-Sagens
Die Verantwortung liegt allein bei den Eltern, denn das Kind ist noch viel zu jung, um Gefahren abschätzen zu können. Wenn etwas Schlimmes passiert, liegt die Schuld also bei den Eltern und dieses Stadium verliert seine Geltung nur sehr langsam und schleichend. Es bringt nichts, dem Kind zu erklären, dass es auf dem Wickeltisch liegen bleiben soll, damit es nicht herunterfällt – die volle Verantwortung für diese gefährliche Situation tragen die Eltern und sie müssen ihr Kind schützen. Deshalb heißt ein „nein“ in dieser Situation beispielsweise, das Kind behutsam wieder auf den Rücken zu drehen, um einen Unfall zu verhindern.
Nein-Sagen: das zweite Stadium
Das Kind ist allmählich in der Lage zu verstehen, was erlaubt ist und was nicht. Allerdings ist das Kind noch zu klein, um zwischen „richtig“ und „falsch“ in moralischer Hinsicht zu unterscheiden, sondern es muss zunächst lernen, dass es Gefahren gibt, vor denen es die Eltern durch ein „nein“ bewahren. Die Eltern konfrontieren ihr Kind mit ihrer Sicht der Welt und den Gefahren, welche der eigene Lebensraum hat: streckt das Kind sein Händchen nach der brennenden Kerze aus, versteht es ein „nein“ oder „heiß“ besser als langwierige Erklärungen.
Nein in der Erziehung: drittes Stadium
Das Kind ist so weit in seiner Entwicklung fortgeschritten, dass es Erklärungen versteht, welche Situationen gefährlich sind und warum ein „nein“ in einer bestimmten Situation angebracht ist. Durch Erläuterungen der Situationen sichern sich die Eltern die Kooperation ihres Kindes. Die Katze am Schwanz zu ziehen, tut ihr weh, versteht das Kind jetzt und kann sein Verhalten deswegen überdenken und in Zukunft anpassen. Je größer der Bewegungsradius des Kindes wird, desto mehr Gespräche über mögliche Gefahren ergeben sich und das Kind beginnt, Gegenfragen zu stellen, da es die Welt besser verstehen möchte.
Fazit: Donald W. Winnicott weist darauf hin, dass sich diese Stadien überschneiden und sachte ineinander übergehen. Ein Kind versteht ein gesprochenes Nein immer besser, solange es sich gesund entwickelt. Manchmal versuchen Kinder allerdings, Grenzerfahrungen zu machen oder hinterfragen das Nein – dann machen sie ihre eigenen Erlebnisse mit Gefahren. Wenn ein Kind kapiert, dass es nicht auf ein Stühlchen steigen soll und es trotzdem tut, weil das Spielzeug im Regal so verlockend ist, fällt es herunter und tut sich weh. Je nach Persönlichkeit und Temperament wird ein Kind dasselbe nie wieder tun oder sich wenig darum scheren und risikofreudig das nächste Spielzeug vom Regal holen – learning by doing…
Quelle: Winnicott, Donald W. (2024): Kinder. Gespräche mit Eltern. Psychosozial-Verlag
Foto: depositphotos.com
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