Formen der Parentifizierung
von Dr. phil. Sonja Deml | 5. September 2022
Wenn Kinder in eine Erwachsenenrolle gedrängt werden, spricht man von Parentifizierung. Dabei gibt es unterschiedliche Formen von Parentifikation.
Parentifizierung ist Psychologen zufolge eine Version des emotionalen Missbrauchs von Kindern. Es findet eine Rollenumkehr zwischen Eltern und Kindern statt und Kindern werden Aufgaben übertragen, die sie bei destruktiven Formen der Parentifikation schlichtweg überfordern. Zudem dienen manche Kinder als Partner- oder sogar als Elternersatz. Parentifizierung kann bei Singleeltern vorkommen, aber auch in vermeintlich intakten Familien. Man unterschiedet zwischen adaptiver und destruktiver Parentifizierung und diese kann instrumentell und emotional sein.
Adaptive Parentifizierung
Wenn Kinder im Haushalt mithelfen oder kleinere Arbeiten erledigen, die normalerweise Erwachsenenjobs sind, spricht man von adaptiver Parentifizierung. Die Kinder werden nicht komplett von einer Erwachsenenrolle eingenommen, sondern ihre Bedürfnisse werden beachtet und sie erhalten Unterstützung. Zudem ist der zeitliche Rahmen klein, das Kind wird nicht in seiner Freiheit und in seinen Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt. Diese Art der Parentifizierung ist nicht zwangsläufig schädlich, sondern das Kind erfährt Anerkennung und das
Selbstwertgefühl wird gestärkt. Dabei darf das Kind niemals überfordert werden!
Destruktive Parentifikation
Bei destruktiver Parentifikation werden die Bedürfnisse und Entwicklungsmöglichkeiten eines Kindes behindert, da es seine Kindrolle nahezu aufgeben muss, um für die Befriedigung ungestillter Bedürfnisse der Eltern da zu sein. Die Anforderungen an das Kind sind weder altersangemessen noch seinem Entwicklungsstand entsprechend. Das Kind wird heillos überfordert und erfährt nicht mal Anerkennung. Die Eltern geben ihre Erwachsenenrolle auf und fordern vom Kind, dass es die Fürsorge für die Eltern übernimmt. Diese Aufgaben können instrumenteller, emotionaler Art oder sogar beides sein.
Instrumentelle Parentifizierung
Ist die Parentifizierung instrumentell, muss ein Kind die Aufgaben der Eltern erledigen wie zum Beispiel: Erziehung bzw. Versorgung jüngerer Geschwister, Pflege älterer Familienmitglieder, Versorgung eines körperlich oder psychisch kranken Menschen oder Versorgung von Tieren sowie Übernahme sämtlicher Haus- und Gartenarbeiten, die das Kind auch rein körperlich überfordern.
Emotionale Parentifikation
Hierbei sollen die Kinder ihre Eltern emotional auffangen und stützen. Die Kinder sind für das psychische Wohlergehen ihrer Eltern zuständig. Sie hören sich die Sorgen und Nöte der Erwachsenen an, müssen sie trösten und Lösungen für Erwachsenenprobleme finden. Manchmal müssen Kinder zwischen den Eltern oder anderen Erwachsenen vermitteln, sie erhalten die Rolle eines Rechtsanwalts oder Mediators. In Trennungsfamilien werden Kinder nicht selten zum Partnerersatz erklärt oder sie geraten in einen Loyalitätskonflikt, wenn sie sich gegen einen Elternteil positionieren sollen.
Negative Folgen der Parentifikation
Destruktive Parentifizierung in all seinen Facetten ist aus psychologischer Sicht emotionaler Missbrauch von Kindern. Sie müssen viel zu früh viel zu große Verantwortung übernehmen. Dadurch verlieren sie ihre Unbeschwertheit, Sorglosigkeit, Spontanität und kindliche Freude am Leben. Die soziale Kompetenz wird so nicht gestärkt, sondern vielmehr können Betroffene keine altersgemäße soziale Kompetenz erwerben – weil sie zu sehr in der Erwachsenenwelt denken und fühlen sollen und weil sie schlichtweg kaum Zeit haben, um mit Gleichaltrigen zu interagieren. Dadurch leiden sie auch unter Isolation und Einsamkeit. Betroffene haben ein geringes Selbstwertgefühl, Versagensängste, Depressionen, Essstörungen und manchmal sogar Suizidgedanken. Die Spirale dreht sich schnell abwärts, denn oftmals bleibt wenig Zeit zum Lernen. Schulnoten leiden, Abschlüsse werden nicht bestanden, die Berufschancen sinken usw. Betroffene fühlen sich oft als Versager auf ganzer Linie, da sie ihre eigenen Eltern nicht glücklich machen können. Doch diese haben schließlich ein Problem, das gewiss nicht durch Kinder gelöst werden kann! Sie sollten sich an einen Therapeuten wenden, mit dem sie wieder Ordnung ins Familienleben bringen…
Foto: Janko Ferlič – Unsplash
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